Mittwoch, 30. September 2009

Die älteste Orgel Kölns

Wikipedia gibt freundlich Auskunft über die Orgeln des Hohen Doms St. Peter und Maria in Köln: auf Langhaus- und Querhausorgel sind vom Zentralspieltisch aus zusammen 153 Register vom niedlichen Nachthorn 1' bis zur Vox balenae 64' (deren tiefe Töne gar nicht mehr akustisch, sondern nur noch als Schwingungen wahrnehmbar sind) spielbar. Den Besuchern des Domes fällt zunächst die Schwalbennestorgel von 1998 hoch im Langhaus auf. Weniger glücklich ist die Aufstellung der großen Querhausorgel neben dem Hochchor, die man als ewiges Provisorium auf zwei riesige Betonpilze gestellt hat. Die Bemalung derselben war gut gemeint, macht den Anblick aber leider nicht schöner.

Ein wenig versteckt im Dom ist das neueste "Spielzeug" der Domorganisten: eine Tuba Episcopalis und eine Tuba Capitularis, beide in 8'-Lage und als Hochdruckregister auf 700 mm Wassersäule stehend. Normal sind ungefähr 70 - 80 mm. Die beiden Fanfaren werden ihrem Namen nach besonders beim Einzug des Domkapitels bzw. des Erzbischofs genutzt. Man sieht die horizontal aus dem gotischen Maßwerk ragenden Pfeifen, wenn man ganz hinten im Westwerk des Domes steht, und nach oben schaut.

Eine ohne Frage beeindruckende Orgelanlage, die angemessen ist um dieses gewaltige Kirchenschiff (siehe oben) mit seiner äußerst schwierigen Akustik klanglich zu füllen.

Doch eine weitere Perle hat der Kölner Dom zu bieten: die vermutlich älteste Orgel Kölns, schamhaft versteckt im südlichen Chorumgang, auf keiner Homepage erwähnt. Es ist kein Bild im Netz verfügbar und keine Disposition. Schade! Die kleine Orgel mit nur 13 Registern steht ganz in der Nähe des berühmten Lochneraltares und kann schnell übersehen werden. Der Propekt, der von Peter Weidmann um 1700 geschaffen wurde, ist farblos und unauffällig. Im Inneren steht ein Pfeifenwerk, das zuletzt 1963 von der Firma Seifert überholt und um ein eigenständiges Pedal ergänzt wurde.
Nachdem Köln am Ende des II. Weltkriegs nur noch ein Trümmerfeld war, aus dem alleine die beiden Domtürme noch aufragten und alle historischen Orgeln der Stadt zerstört waren, ist dieses kleine Instrument das einzige, das den Bombenhagel überstanden hat - und somit eine kleine Kostbarkeit. Mittlerweile sind fast alle Kirchen in der Innenstadt wieder mit ansprechenden Instrumenten ausgestattet. Es hat aber lange gedauert, bis die Nachkriegsprovisorien endlich ersetzt werden konnten.

Wer demnächst den Kölner Dom besichtigt, sollte also nicht ganz achtlos an diesem Instrument vorüberlaufen!

Karl der Große, in Wort und Musik


In Dr. Guido Rodheudts Pfarrei St. Gertrud in Herzogenrath findet am Montag, dem 23. November 2009 ein Vortrag unter dem Titel "Regali natus de stirpe" - Das Lebens Karls der Großen in Text und Musik statt. Es spricht Hannelore Zowislo-Wolf aus Rocherath in Belgien. Sie ist Vorsitzende des Vereins zur Erforschung der mittelalterlichen Karlsliturgie e. V. Zu diesem Vortrag sorgt die Schola Carolina unter der Leitung von Dr. Michael Tunger für Klangbeispiele aus dem Karlsoffizium.

Beginn ist um 18.30 Uhr mit einem Hochamt in der Filialkirche St. Marien (Kleikstraße 58). Es wird die Votivmesse zu Ehren Karls des Großen "In virtute tua" in der Außerordentlichen Form des Römischen Ritus gefeiert. Um 19.30 Uhr schließt dann der Vortrag im "Haus der Offenen Tür" an der Erkenstraße 7 an.

Organisatorische Information: Tel. 02406 / 3566 oder www.st-gertrud.info.

Zeige mir, wie du feierst...

Zum Nachdenken zwischendurch nur ein kleines Zitat aus dem Werk unseres Heiligen Vaters:
"Im Umgang mit der Liturgie entscheidet sich das Geschick von Glaube und Kirche."

Dienstag, 29. September 2009

Liber Usualis für den IPod

Das amerikanische Nachbarblog New Liturgical Movement meldet soeben, dass das Liber Usualis von 1961 jetzt komplett als Download zur Verfügung steht.

Ein tolles Angebot! HIER der direkte Link zum Anbieter.

Enoch zu Guttenberg über die Liturgie

In der konservativen Wochenzeitung "Junge Freiheit" wird jede Woche einer anderen bekannten Persönlichkeit ein immer gleicher Fragebogen vorgelegt. Auf die Frage, was Heimat für ihn bedeutet, antwortete der bekannte Dirigent Enoch Freiherr zu Guttenberg, der Vater des Bundeswirtschaftsministers, vor zwei Wochen: "Den Zustand der Natur, den ich als Kind noch erleben durfte, und die alte, katholische Liturgie."

Einer besonderen Wertschätzung des Dirigenten erfreut sich der Gregorianische Choral als Liturgiegesang. Die Frage, welche Dinge er gerne verändern würde, beantwortete zu Guttenberg mit: "Die Zerstörung der uns anvertrauten Schöpfung und die Zerstörung der alten katholischen Liturgie."

Nur Mut!

Tschechiens Präsident Václav Klaus bei der Verabschiedung von Papst Benedikt XVI.:
"Ihr starker Glaube, Ihr Mut, Standpunkte zu vertreten, die nicht immer politisch korrekt sind und nicht von allen geteilt werden, und Ihr entschiedenes Eintreten für den Respekt der Ideen unserer Zivilisation und des Christentums können uns alle ermutigen."

Choral aus Heiligenkreuz

Seit Monaten schon erleben wir einen regelrechten Hype um die Gregorianik-CD aus dem österreichischen Zisterzienser-Stift Heiligenkreuz. Man mag der Vermarktung etwas skeptisch gegenüberstehen, allerdings kommen die Einnahmen einem guten Zweck zu: nämlich der Ausbildung des Ordensnachwuchses in Sri Lanka und im kommunistisch geprägten Vietnam, wo das Kloster trotz strenger Auflagen des Staates aus allen Nähten platzt.

Ein erfreuliches Zeichen, dass die Kirche auch unter widrigen Umständen blühen kann! Aber zurück zur CD. Zunächst einmal ist das gewählte Repertoire ungewöhnlich und bemerkenswert: nämlich die Missa pro defunctis (Requiem) und eine Komplet (Nachtgebet der Kirche). Bis hierher nicht die üblichen "Evergreens" des Chorals. Erst auf der zweiten CD findet man einige Titel, die schon auf anderen Tonträgern hundertfach zu finden waren; HIER eine Tracklist.

Wirklich anerkennend muss man zugeben, dass das Gesangsniveau dieses Konvents überdurchschnittlich ist. Es handelt sich weder um ausgebildete Sänger, noch um echte Choralforscher im Sinne von Paläographen und Semiologen. Für einen Konvent stellt diese Aufnahme eine beachtenswerte und vorbildliche Leistung dar!

Für die Freunde des Gregorianischen Choral und/oder des monastischen Lebens gibt es hier ein kurzes Video:

Da ist Musik drin... I

Es gibt genug katholische Blogs, in denen regelmäßig der Untergang des Abendlandes im Allgemeinen, und der Liturgie und Kirchenmusik im Speziellen besungen wird. Ich gebe zu, dass mir ein gewisses Frustgefühl nicht fremd ist, wenn ich mir die Situation der musica sacra heute anschaue. Aber ich möchte auch auf Positives hinweisen. In einer kleinen Serie "Da ist Musik drin" werde ich Kirchen vorstellen, in denen es ein außergewöhnliches kirchenmusikalisches Angebot gibt.

Erste Station ist der "Graben" in Wien. Mitten in der Stadt, im 1. Bezirk, nur wenige Schritte vom Stephansdom entfernt findet man die Peterskirche. Ein echtes Barockjuwel! Sie war bis 1970 Pfarrkirche, und wurde dann vom Wiener Erzbischof dem Opus Dei als Rektorat übertragen.

Nicht nur der Kirchenraum ist beeindruckend, sondern auch die Kirchenmusik: jeden Tag(!) findet um 15 Uhr (samstags und sonntags um 20 Uhr) ein halbstündiges Orgelkonzert bei freiem Eintritt statt. Die Kirche verfügt über einen guten Kirchenchor und ein eigenes Orchester, so dass an jedem Sonn- und Feiertag eine feierliche Messe mit Werken von da Viadana über Mozart bis zur späten Romantik gefeiert werden kann. Eine eigene Schola oder Gastscholen übernehmen die Pflege des Gregorianischen Chorals.

Außerhalb des eigentlichen liturgischen Lebens ermöglichen zahlreiche Gastchöre und -solisten ein vielfältiges und hochkarätiges Konzertangebot mit interessanten Programm: Orgel, Bläserensembles, Chöre und Orchester aus vielen Ländern wechseln sich ab.

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Ausführliche Terminübersichten zur Kirchenmusik sind direkt auf der Homepage der Peterskirche herunterzuladen: http://www.peterskirche.at/musik/muisk.htm
(Der Link heißt wirklich muisk...!)

Die Orgelbaufirma Walcker bietet auf ihrer Homepage einen Kurzfilm über die Orgel an: http://www.walcker.at/dvd/wmv/DVD070826-2.wmv

Montag, 28. September 2009

In eigener Sache


Vielen Dank

für die freundliche Mail eines Lesers, der bemerkt hatte, dass die Zeiteinstellung dieses Blogs noch standardmäßig auf US-Ostküstenzeit stand und Aktualisierungen in anderen Blogs daher erst mit mehreren Stunden Verspätung angezeigt wurden.

Ich habe das behoben!

Gregorianik im neuen "Gotteslob"

Für das Jahr 2013 ist das Erscheinen des neuen Gesangbuches projektiert. Es wird wieder "Gotteslob" heißen. Ich finde es erfreulich, dass man diesen schönen Titel beibehält. Das Buch hat bereits mehrere Jahre Verspätung, da es eigentlich ja schon in diesem Jahr hätte erscheinen sollen. Im Augenblick ist es mehr als fraglich, ob der aktuelle Termin in gut drei Jahren noch zu halten ist.

Die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung unter ihrem neuen Leiter Antonio Kardinal Cañizares Llovera ist nämlich neuerdings äußerst penibel, was die Verwendung der offiziellen Texte angeht. Kurz gesagt: vatikanische Korrektheit kollidiert mit deutschen Ordinariumsparaphrasen. Das neue "Gotteslob" verspricht ein Drama in mehreren Akten zu werden.

Schauen wir also zunächst einmal auf das, was - den Umständen entsprechend - sicher ist, nämlich welche Stücke aus dem gregorianischen Repertoire in das Buch aufgenommen werden sollen.

Zunächst: was im aktuellen "Gotteslob" drin ist, soll drin bleiben. Folgende Ergänzungen sind vorgeschlagen:
  • Asperges mit Vers Ps 50 (51),1
  • Missa "Orbis factor"; evtl. anstelle von "Alme Pater"
  • Credo I
  • Fünf Alleluia-Melodien aus dem Antiphonale Monasticum
  • Ave regina caelorum
  • Alma Redemptoris Mater
  • Antiphon Ave Maria + Magnificat im I. Ton
  • Requiem komplett!
  • Natum fecit Domine (als Antiphon zum Magnificat)
  • Lumen ad revelationem gentium
  • Benedictus Dominus Deus meus (Antiphonale Monasticum 155)
  • Benedixisti me, Domine (als Antiphon zum Magnificat)
Dazu einige allgemeine Antiphonen, die auch als Fürbittruf verwendet werden sollen:
  • Adiuva me
  • Cantabo Domino
  • Laudate Dominum de coelis
  • Sit nomen Domini
Auch aus Sicht des Organisten wäre das eine erfreuliche Ergänzung, eignen sich viele der Stücke doch hervorragend als Improvisationsthema. Besonders zur kurzen, eingängigen "Ave"-Antiphon gibt es wunderbare Orgelwerke; einige sind im Band "Magnificat anima mea" aus der Reihe Orgelmusik zu Festzeiten und für besondere Anlässe (PDF-Übersicht) von Wolfgang Bretschneider enthalten.

Katholische Pfeifen

“In einer Orgel müssen die vielen Pfeifen und die Register eine Einheit bilden. Klemmt es hier oder dort, ist eine Pfeife verstimmt, dann ist dies zunächst vielleicht nur für ein geübtes Ohr vernehmbar. Sind mehrere Pfeifen nicht mehr richtig gestimmt, gibt es Disharmonien, und es wird unerträglich. Das ist ein Bild für unsere Gemeinschaft in der Kirche. Wie in der Orgel eine berufene Hand immer wieder die Disharmonien zum rechten Klang vereinen muss, so müssen wir auch in der Kirche in der Vielfalt der Gaben und der Charismen immer neu durch die Gemeinschaft des Glaubens den Einklang im Lob Gottes und in der geschwisterlichen Liebe finden. Je mehr wir uns durch die Liturgie in Christus verwandeln lassen, umso mehr werden wir fähig sein, auch die Welt zu verwandeln.“ - Benedikt XVI.

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Zitat gefunden bei VOX COELESTIS

Improperien: Kein Antisemitismus

Zugegeben, es ist nicht ganz die passende Zeit, wenige Wochen vor dem Advent noch einmal auf den Karfreitag zurückzugreifen. Aber manche Themen sind eben ein Dauerbrenner. Vor allem die Diskussion um die katholische Kirche und ihren vermeintlichen Antisemitismus, die von gewissen Interessengruppen nur zu gerne lebendig gehalten wird.

Als Kirchenmusiker ist es mir eine Ehre und eine große Freude, das liturgische Jahr in meinen Dienstgemeinden angemessen mitgestalten zu können, und durch die Musik manches zu be-tonen, was mit dem bloßen Wort alleine möglicherweise nicht ausreichend gesagt werden kann.

Jedes Jahr liegt mir allerdings schon Wochen vor dem Karfreitag ein Gesang quer, der die Osterfreude etwas trübt. Nein, nicht der Gesang an sich, sondern vielmehr die unvermeidliche Diskussion darüber, die wie bestellt entweder am Gründonnerstag losbricht oder den Kantor direkt nach der Karfreitagsliturgie heimsucht. Die Rede ist von den Improperien.

Die Improperien, lat. Vorwürfe, Klagen, sind Worte, die im Wechselgesang aus Ereignissen des Alten Testaments und des Leidensweges Christi, gewissermaßen analog dem späteren Kreuzweg, zusammengestellt, dem Heiland am Kreuz in den Mund gelegt werden. Ihr Ursprung liegt vermutlich in der mozarabischen Liturgie. Sie werden auf eine sehr alte, gregorianische Melodie gesungen, die jedoch erst 1474 in das Römische Missale aufgenommen wird. Eine Ausnahme bildet die Liturgie der Sixtinischen Kapelle, wo sie seit 1560 in einer Fauxbourdon-Bearbeitung von Giovanni Pierluigi da Palestrina gesungen werden. Die bei uns übliche eingedeutschte Gotteslob-Fassung (GL 206) ist der gregorianischen gegenüber stark - und nicht ganz unproblematisch - verkürzt.


Die Übertragung des lateinischen Textes lautet:

Mein Volk, was habe ich dir getan,
womit nur habe ich dich betrübt?
Antworte mir.

Aus der Knechtschaft Ägyptens habe ich dich herausgeführt.
Du aber bereitest das Kreuz deinem Erlöser.
Heiliger Gott.
Heiliger, starker Gott.
Heiliger, starker, unsterblicher Gott, erbarme dich unser.
Vierzig Jahre habe ich dich geleitet durch die Wüste.
Ich habe dich mit Manna gespeist
und dich hineingeführt in das Land der Verheißung.
Du aber bereitest das Kreuz deinem Erlöser.

Was hätte ich dir mehr tun sollen und tat es nicht?
Als meinen erlesenen Weinberg pflanzte ich dich,
du aber brachtest mir bittere Trauben,
du hast mich in meinem Durst mit Essig getränkt
und mit der Lanze deinem Erlöser die Seite durchstoßen.

Deinetwegen habe ich Ägypten geschlagen
und seine Erstgeburt,
du aber hast mich geschlagen und dem Tod überliefert.
  • A:Mein Volk...

Ich habe dich aus Ägypten herausgeführt
und den Pharao versinken lassen im Roten Meer,
du aber hast mich den Hohenpriestern überliefert.
  • A: Mein Volk ...

Ich habe vor dir einen Weg durch das Meer gebahnt,
du aber hast mit der Lanze meine Seite geöffnet.
  • A: Mein Volk ...

In einer Wolkensäule bin ich dir vorangezogen,
du aber hast mich vor den Richterstuhl des Pilatus geführt.
  • A: Mein Volk ...

Ich habe dich in der Wüste mit Manna gespeist,
du aber hast mich ins Gesicht geschlagen
und mich gegeißelt.
  • A: Mein Volk ...

Ich habe dir Wasser aus dem Felsen zu trinken gegeben und dich gerettet,
du aber hast mich getränkt mit Galle und Essig.
  • A: Mein Volk ...

Deinetwegen habe ich die Könige Kanaans geschlagen,
du aber schlugst mir mit einem Rohr auf mein Haupt.
  • A: Mein Volk ...

Ich habe dir ein Königszepter in die Hand gegeben,
du aber hast mich gekrönt mit einer Krone von Dornen.
  • A: Mein Volk ...

Ich habe dich erhöht und ausgestattet mit großer Kraft,
du aber erhöhtest mich am Holz des Kreuzes.
  • A: Mein Volk ...


Auf dem ersten Blick ist durchaus eine antisemitische Interpretation möglich, und es soll nicht verschwiegen werden, dass es im Laufe der Kirchengeschichte durchaus zu einer solchen "Eisegese" gekommen ist. Verständlich, dass auf diesem und dem Hintergrund der jüngeren deutschen Geschichte ein gewisses Unbehagen bei der Betrachtung dieses Textes entsteht. Ein Mitglied einer Schola, die ich vor Jahren geleitet habe, verweigerte sich sehr engagiert mit dem Hinweis auf ein Benediktinerinnenkloster, dass diesen Gesang vollkommen abgeschafft habe, da die antisemitischen Töne in der Liturgie "überholt" seien.

Nun kann man diesen Schwestern sicherlich einen guten Willen attestieren - aber einen verheerenden Mangel an theologischer Kenntnis gleich dazu. Wer diesen Gesang beurteilen will, darf nicht am Karfreitag stehenbleiben, sondern muss das gesamte Heilswerk Christi, besonders aber die Tage vom Palmsonntag bis über die Auferstehung hinaus bedenken.

Sind die Improperien ein Vorwurf an die Synagoge? Oder gar an die heute lebenden Juden? Absolut nicht! Wer Ostern feiern will, muss sich vergegenwärtigen, warum Jesus den Sühnetod auf sich genommen hat. Die Lehre vom Sühnetod Christi geht auf Paulus zurück, wird dann aber zunächst von Augustinus vertieft, der die Lehre von der Erbsünde entwickelt:

Adam, als Urvater der Menschheit hat sich durch die Sünde von Gott abgewendet. Seitdem steht die Sünde zwischen Gott und den Menschen. Man kann sagen, dass Sünde die bewusste Abwendung von einem höheren Gut, vom Schöpfer, ist, hin zum niederen Gut, dem Geschaffenen. Der Tanz um das Goldene Kalb wird im Alten Testament dann ganz deutlich zum Symbol dieser Tendenz. Um die Schuld der Menschheit zu sühnen, muss Gott seinen eigenen Sohn als Opfer darbringen, denn die Menschheit wäre nicht in der Lage, die Last ihrer Sünden alleine zu tragen. Diese zunächst recht schwierige "Satisfaktionslehre" wird von Anselm von Canterbury detailliert entwickelt. Wir durften jüngst erleben, dass sogar der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz seine liebe Not hatte, den Tod Christi zu erklären. Es handelte sich eben nicht einfach um ein "solidarisches" Sterben "mit uns", sondern um ein Sterben "für uns". Ein gewaltiger Unterschied! Schlimm, dass Bischöfe offensichtlich nicht mehr in der Lage sind, die einfachsten Grundlagen unseres Glaubens zu erklären.

Wenn wir also diesen Hintergrund berücksichtigen, und bedenken welche Texte die Liturgie der Osternacht prägen, muss uns einsichtig werden, dass mit "meinem Volk" keinesfalls die damals oder heute lebenden Juden gemeint waren. Sondern wir alle sind gemeint.

Besonders deutlich wird das, wenn wir die Improperien mit den alttestamentlichen Texten der Osternacht und den Antwortpsalmen gewissermaßen gegenlesen¹: "Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, wie groß bist du!" - "Du, Herr, gibst mir das Erbe und reichst mir den Becher; Du hältst mein Los in deine Händen." - "Ich singe dem Herrn ein Lied, denn er ist hocherhaben" - "Ich will dich rühmen, Herr, denn du hast mich aus der Tiefe gezogen und lässt meine Feinde nicht über mich triumphieren."

Die Psalmen sprechen nicht in der Man-Form, sondern ich selbst stehe vor dem Herrn und danke ihm für seine Güte. Die Kirche singt mit Christus das Lob des ewigen Gottes. Direkt vor dem Tagesgebet wird dann der Bogen geschlagen zwischen den Heilstaten Gottes im Alten Testament, dem Opfer Christi und damit der Erfüllung der Verheißung im Neuen Testament. Gleichzeitig bietet sich dieses Gebet auch an als Zusammenfassung meiner vorhergehenden Ausführungen:
Herr, unser Gott, durch die Schriften des Alten und des Neuen Bundes führst du uns ein in das Geheimnis dieser heiligen Nacht. Öffne unsere Augen für das Werk deines Erbarmens und schenk uns durch die Gnade dieser Osternacht die feste Zuversicht, dass auch unser Leben in deiner Herrlichkeit vollendet wird.
Die Klagen des Heilandes am Kreuz sind also nicht nur an das Volk Israel oder die Juden allgemein gerichtet, sondern sie stehen ganz in der Tradition der Propheten, die das Volk angesichts der Heilstaten Gottes zu Umkehr und Buße mahnt (vgl. z. B. Micha 6 oder Jesaja 5). Einen weiteren Beleg dafür finden wir im Passionslied "O Haupt, voll Blut und Wunden" (GL 179, 4 u. 5), wo die ganze Frage nach Sünde, Sühne und Erlösung zum Ausdruck kommt:
Was du, Herr, hast erduldet, ist alles meine Last.
Ich, ich hab es verschuldet, was du ertragen hast. [...]

Ich danke dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund,
für deines Todes Schmerzen, da du's so gut gemeint.

Wer also in einem Anfall von political correctness in den Improperien Antisemitismus verortet, ist auf einem ausgesprochenem Holzweg. Ja, es liegt sogar die Gefahr nahe, durch eine Schuldzuweisung an die Juden sich gewissermaßen selbst auf dem bequemsten Weg freizusprechen. Das Heilwerk Christi kann nur feiern, wer sich seines eigenen Versagens vor Gott bewusst ist; zu verstehen versucht, welche Liebestat seine Hingabe am Kreuz war, die den ewigen Tod für immer besiegt hat. Die Improperien sind dazu ein Aufruf an mich persönlich. Und an jeden von uns!

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¹) Textauszüge als Beispiel, hier Lesejahr A

Gen Rosso lebt!

Wenn man auf der Straße einen Dinosaurier trifft, hat man das unbestimmte Gefühl, man hätte wissen sollen, dass er noch lebt. Ungefähr dieses Erlebnis hatte ich heute Morgen beim Öffnen meiner E-Mails. Betreffzeile: Gen Rosso in Osnabrück.

Für diejenigen, die mit diesem Namen nichts mehr anzufangen wissen, ein kurzer Ausschnitt aus dem ohnehin sehr knappen Wikipedia-Artikel:
Gen Rosso entstand 1966 in Loppiano bei Florenz auf Initiative von Chiara Lubich. Die Gründerin der Fokolar-Bewegung schenkte einer männlichen Jugendgruppe zu Weihnachten eine Gitarre und ein rotes Schlagzeug. Von diesem roten Schlagzeug leitet sich der Gruppenname ab: "rosso", ital. "rot". [...]

Seit 1966 haben mehr als 200 Künstler und Techniker bei Gen Rosso mitgewirkt. Derzeit besteht Gen Rosso aus 18 Mitgliedern aus 10 Ländern. Gen Rosso veröffentlichte etwa 325 Lieder auf 55 Alben, das bei weitem bekannteste dürfte das Abendlied Resta qui con noi (dt "Bleibe hier bei uns") sein.
Ich wusste nicht, dass "Resta qui con noi" das bekannteste Lied ist, beziehungsweise sein soll. Mir ist aus den 80er Jahren vor allem die Gen-Rosso-Messe im Gedächtnis geblieben, die quantitativ damals direkt nach "Lasst uns miteinander" und "Kleines Senfkorn Hoffnung" auf dem dritten Platz der kirchenmusikalischen Hitparade gelegen haben dürfte. Ich bin ja froh, dass die Ära dieser Gruppen langsam, aber stetig zu Ende geht. Ich dachte längst, dass es Gen Rosso gar nicht mehr geben würde. Um so verblüffter war ich über diese Ankündigung:
Am Donnerstag, den 15.10.09 spielt die internationale Band der Fokolarbewegung um 19.00 Uhr in der Schlosswallhalle Osnabrück. Dieses Konzert ist bereits mit 1300 Personen ausgebucht! Für die öffentliche Probe am Mittwoch gibt es noch Karten unter der angebenen Internetseite

Karten kann man bestellen bei der: Don Bosco Kath. Jugendhilfe, Moorlandstraße 50, 49088 Osnabrück, Telefon: 0541/181820 - www.donbosco-osnabrueck.de
Man sollte also niemanden vorschnell für tot erklären.

Sonntag, 27. September 2009

Escolania de Montserrat


Kinderchöre haben in Deutschland nicht ganz zu unrecht einen schlechten Ruf. Zu oft ist das Dargebotene von einer Qualität, die sich kein Barmusiker erlauben könnte ohne dass spätestens nach fünf Minuten die ersten Biergläser flögen. Da toben sich Blockflötengruppen aus, deren Leitung keine Ahnung hat, wie man eine Probe aufbaut; dass man mehrere Instrumente vor gemeinsamen Gebrauch erstmal stimmen sollte; und dass präzises Dirigat einen Großteil der folgenden Katastrophe verhindert hätte. Jugendscholen mühen sich mit Neuem Geistlichem Lied ab, dessen Text nicht zu verstehen und der Rhythmus nicht mehr zu erkennen ist. Dazu dröhnt eine Band, möglichst laut, technisch perfekt ausgestattet - und unisono. Von Arrangement keine Spur. Nur wenige Kinderchöre, vor allem Knabenchöre, heben sich aus diesem Tal der Tränen hervor. Zu diesen hervorragenden Ensembles gehört die Escolania del monastir de Montserrat in Spanien (genauer gesagt: in Katalonien). Und zwar schon seit dem Jahr 1307!


Circa fünfzig Jungen im Alter von neun bis vierzehn Jahren besuchen nicht nur die Musikschule der Abtei Montserrat, sondern dienen mit ihrem Gesang auch der klösterlichen Liturgie - und zwar täglich! Zum Mittagsgebet wird das berühmte Virolai gesungen, und am Abend die Vesper. Bemerkenswert, wenn ich bedenke, dass mein eigener Chor schon stöhnt, wenn er Ostern und Pfingsten singen soll...

Erfreulich auch, dass die Jungen so ganz in die kirchliche, ja sogar in die monastische Tradition hineinwachsen können. Das haben sie den bekannten deutschen Chören, wie zum Beispiel den Regensburger Domspatzen, tatsächlich voraus. Die Kinder erhalten nicht nur Stimmbildung, sondern auch Unterricht im Klavierspiel und einem Zweitinstrument ihrer Wahl.



Bei vielen Auftritten halten die Chorsänger ihre Arme unter dem Chorhemd verborgen, was bei einigen Beobachtern offenbar zu ernster Besorgnis geführt hat. Jedenfalls kann man auf der F.A.Q.-Seite des Chores folgende Frage lesen:
  • Do the choirboys have arms?
Yes, they have two each like everyone else. What happens is that when they sing they usually keep their arms hidden under their surplice, a garment that characterises choirboys all over the world.

Woher diese auf den ersten Blick in der Tat recht merkwürdige Haltung kommt, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Vermutlich ist es in der monastischen Tradition des Ortes begründet. Die Mönche halten ihre Hände ja auch unter dem Skapulier verborgen.

Es lohnt sich, diesen Chor und seine Strukturen kennenzulernen. Ich würde mir wünschen, dass auch deutsche Klöster wieder stärker auf diese Tradition setzen, die in anderen Ländern wie England nie abgerissen ist. Wie erfreulich, dass es noch solche Orte gibt, an denen Kinder und Jugendliche in das Leben der Kirchen hineinwachsen können, in die Kunst der Musik eingeführt werden und so eine solide geistige und geistliche Grundlage für ihr weiteres Leben erhalten. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass auch die stiefmütterliche Behandlung der Kirchenmusik im deutschen Sprachraum sich so verbessert, dass wir hervorragende Liturgien nicht nur an einzelnen Orten, sondern auf breiter Fläche erleben dürfen!

Homepage der Escolania hier.

Den Alltag zum Blühen bringen

"Die Kunst der Musik ist auf einzigartige Weise dazu aufgerufen, Hoffnung in die menschliche Seele einzusenken, die manchmal so sehr von irdischen Umständen gezeichnet, ja verletzt ist. Zwischen Musik und Hoffnung, zwischen Gesang und Ewigem Leben besteht eine geheimnisvolle und tiefe Verwandschaft: Nicht umsonst stellt die christliche Tradition die Engel beim Singen im Chor dar, verzückt und hingerissen von der Schönheit Gottes. Und doch entfernt uns die echte Kunst nicht von der Wirklichkeit des Alltags, sondern verweist uns - so wie das Gebet - zurück an diese Wirklichkeit, um sie gleichsam zu bewässern und zum Blühen zu bringen, damit sie Früchte des Guten und des Friedens trage."

Benedikt XVI. in: Im Angesicht der Engel - Von der Musik im Gottesdienst, Herder 2008, S. 176

Benedikt XVI. und die Kirchenmusik

Es ist ja kein Geheimnis mehr, dass unser Papst nicht nur musikliebend, sondern auch selbst ein guter Pianist ist. Vielen ist auch bekannt, dass er sich in seinen Büchern umfassend auch mit kirchenmusikalischen Fragen befasst hat. Vieles davon taucht jetzt in dem neu herausgegebenen Gesamtwerk wieder auf; besonders natürlich im empfehlenswerten Band 11, der sich mit der Theologie der Liturgie befasst, und auf Wunsch des Papstes als erster Band der Reihe erschien.

Von vielen aber nahezu unbemerkt ist seit über einem Jahr ein kleines Büchlein auf dem Markt, dass sämtliche Schriften des früheren Kardinals Ratzinger vereint: "Im Angesicht der Engel - Von der Musik im Gottesdienst".


Außer den im Band 11 des Gesamtwerks veröffentlichten Schriften findet man hier als Ergänzung im letzten Kapitel Kirchenmusik und Spiritualität noch einige interessante Anmerkungen. Ein kleines Buch mit ca. 190 Seiten, dessen Anschaffung sehr zu empfehlen ist, gerade für Leute, die sich mit dem liturgischen Denken dieses Papst vertraut machen wollen. Außerdem handelt es sich hierbei um ein nicht überteuertes günstiges Buch aus dem "Verlag des lieben Gottes"...

Samstag, 26. September 2009

Tage neuer Kirchenmusik

Die sieben bayerischen Diözesen führen seit heute gemeinsam die "Tage neuer Kirchenmusik" durch, die noch bis zum 11. Oktober 2009 gehen werden. In 170 Kirchen in ganz Bayern kann man neue Kirchenmusik des 20. und 21. Jahrhunderts erleben. Das Programm klingt interessant.

Außerdem kommt eine Sanctus-Komposition des geschätzten Kollegen Weber zur Uraufführung. Es handelt sich um die Gewinnerkomposition des eigens für diese Tage ausgeschriebenen Kompositionswettbewerbs. Ich werde dafür zwar nicht bezahlt, aber ich mache dennoch gerne einmal Werbung für einen Verlag, der von jemandem geführt wird, der mit Herz und Kopf im Katholizismus verankert ist und auch sein Handwerk versteht. Interessierte Kirchenmusiker sollten einmal seiner Homepage einen Besuch abstatten: http://www.twverlag.de

Das gesamte Programm der "Tage neuer Musik" findet man hier.

Festival der Kirchenmusik in Rom

Vom 18. bis zum 22. November 2009 ist es wieder soweit: die römische Stiftung Fondazione pro Musica et Arte Sacra veranstaltet ihr berühmtes Kirchenmusikfestival in den Kirchen Roms. Die Wiener Philharmoniker werden als "orchestra in residence" einen gewichtigen Teil zum Gelingen des Festivals beitragen. Auch das von mir sehr geschätzte Kölner Kammerorchester wird auftreten.

Zenit.org hat bereits vor einigen Tagen folgende Mitteilung zu Programmschwerpunkten veröffentlicht:
Im diesem Jahr konzentriert sich die Stiftung auf folgende Projekte: die Restaurierung der Tamburini-Orgel in der Jesuiten-Basilika Sant’Ignazio im Herzen Roms sowie der Gemächer von Papst Julius II. im antiken Teil des Apostolischen Palastes im Vatikan. Außerdem setzt sie ihre Restaurierungsprojekte in Zusammenarbeit mit der Bauhütte des Petersdoms (Fabbrica di San Pietro) fort.Das Festival Internazionale di Musica e Arte Sacra 2009 wird von einer Koryphäe der Musica Sacra eröffnet, mit einem Konzert am 18. November und einer heiligen Messe im Petersdom am 19. November 2009. Msgr. Domenico Bartolucci, Komponist und ehemaliger Dirigent des Papstchores der Cappella Sistina, der trotz seines hohen Alters von über 90 Jahren weiterhin zahlreiche Kirchenmusik-Konzerte zur Aufführung bringt, bestreitet am 18. November in der Lateransbasilika das Eröffnungskonzert des Festivals mit seinem aus den besten Vokalsolisten Roms zusammengesetzten Chor, der Werke der römischen Schule intoniert.
Msgr. Bartolucci kommt also wieder aus der Versenkung hervor. Legendär geworden ist eine Messe, die er - noch als Chorleiter der Sixtinischen Kapelle - verärgert vorzeitig verließ und zu Erzbischof Piero Marini, dem Zeremoniar Johannes Pauls II., sagte, man möge ihn zurückholen, wenn der Zirkus vorbei sei. Offenbar ist es nun soweit. Leider ist die Kirchenmusik bei den Papstmessen nach wie vor nahezu unerträglich, obwohl durchaus Ansätze zur Besserung zu spüren sind. Möge also dieses Festival für Musik und Kunst auch auf den Vatikan selber ausstrahlen! Es kann nur besser werden...

Das vollständige Programm und weitere Informationen findet man hier.

Freitag, 25. September 2009

Gedanken zum Sanctus

Ein Lied nach der Präfation, ein unverzichtbarer Bestandteil des Hochgebets. Dennoch gerne von liturgischer Experimentierwut heimgesucht, durch Beliebigkeit verdrängt, aus Bequemlichkeit gekürzt oder lieblos heruntergebetet. Welche Bedeutung hat dieser Gesang in der Liturgie? Wie sollte man mit ihm umgehen?

Das Sanctus ist eines der ältesten Teile der Messe, und früher Kernbestand des Gesangsrepertoires. In den Handschriften, die uns den Gregorianischen Choral überliefern, finden wir es oft ohne Noten (Neumen) überliefert. Ein Zeichen für gute Überlieferung und weite Verbreitung. Es ist ein zweigeteilter Text, dessen Ursprüngen in Jesaja, einem Psalmvers und im Matthäusevangelium liegen. Wenn die Kirche im Hochgebet der Messe das Sanctus anstimmt, kommt sie damit dem Auftrag der Kirchenmusik in Vollkommenheit nach:
"Sie [die Kirchenmusik - Anm.] muss in einer sinnvollen Zuordnung zu dem Wort stehen, in dem der Logos sich geäußert hat."¹
Singen wir das Sanctus, z. B. aus einer Choralmesse, erleben wir die perfekte Harmonie zwischen dem Wort Gottes und der Musik, zwischen dem Gesang der irdischen und der himmlischen Kirche, ein Moment zeitloser Schönheit.


Das Liturgische Institut der Deutschsprachigen Schweiz formuliert so:
"Bereits in den ersten Jahrhunderten wurde dieser Ruf in den Liturgien des Ostens (4. Jh.) und Westens (5. Jh.) ein Teil des Hochgebets: „Heilig, heilig, heilig, Gott, Herr aller Mächte und Gewalten. Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit.“ Der Saum seines Gewandes füllte in der Vision des Jesaja den Tempel aus: Gottes Gegenwart ist so überschwenglich, dass der Tempel zu klein erscheint, um davon ganz ausgefüllt zu werden. Seine Gegenwart reicht in ganz andere als rein menschliche Daseinsbereiche. Im Singen übersteigt der Mensch sich selbst. So kann er im Sanctus in den gewaltigen Gesang der Engel einstimmen, die einander unablässig die Heiligkeit Gottes zurufen, so dass die Türschwellen des Tempels erzittern. Unser Gesang erreicht den hier und jetzt auch in der Feier der Liturgie gegenwärtigen Gott. [...]

Wenn die betende Kirche singt: „hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn“, dann drückt sie damit aus, dass sie sehnsüchtig die Wiederkunft Christi erwartet. Die zum Gebet Versammelten wissen aber, dass Christus ihnen auch in der Eucharistiefeier in der Gestalt des Brotes und des Weines, in seinem Leib und Blut, geschenkt wird. Er kommt hinein in das „Jetzt“ und verbindet Himmel und Erde bis er wiederkommt „im Namen des Herrn“."²

Wie vielen unserer Gottesdienstbesucher ist dieses eigentlich bewusst? Wäre nicht alleine das Sanctus eine eigene Katechese, eine ausführliche Predigt wert? Zum Beispiel am Palmsonntag, wo das Gebet zur Segnung der Palmzweige nach dem Gesang des "Hosanna Filio David" hervorragend mit dieser Aussage korrespondiert:
Allmächtiger, ewiger Gott, segne diese Zweige, die Zeichen des Lebens und des Sieges, mit denen wir Christus, unserem König, huldigen. Mit Lobgesängen begleiten wir ihn in seine heilige Stadt; gib, dass wir durch ihn zum himmlischen Jerusalem gelangen, der mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit.

Vor allem ist aber zu hinterfragen, ob das leichtfertige Ersetzen des Sanctustextes - der übrigens klar und wörtlich festgelegt ist, und nicht etwa sinngemäß, wie gelegentlich entschuldigend behauptet - der Wichtigkeit und Einzigartigkeit des liturgischen Moments und der Einheit des Hochgebetes, dessen unverzichtbarer Bestandteil dieser Gesang ist, nicht äußerst abträglich ist.

Nach den Punkten, die grob skizzieren sollten welche Tiefe und Bedeutung dieser Gesang hat, sollten wir einen Blick in die kirchlichen Dokumente werfen. Im Schreiben Redemptionis Sacramentum³ finden wir folgende Aussage:
"Das Volk nimmt dennoch immer aktiv und nie rein passiv teil: Es soll sich mit dem Priester vereinen «im Glauben und in Stille wie auch durch die im Laufe des eucharistischen Hochgebetes festgesetzten Einschübe, das sind die Antworten im Eröffnungsdialog der Präfation, das Sanctus, die Akklamation nach der Wandlung und die Akklamation des Amen nach der Schlußdoxologie sowie andere von der Bischofskonferenz approbierte und vom Heiligen Stuhl rekognoszierte Akklamationen»."
Doch wie lautet nun der offzielle Text? In lateinischer und deutscher Sprache ist diese Version maßgeblich und auch so in den Meßbüchern veröffentlicht:
Sanctus, sanctus, sanctus Dominus Deus Sabaoth. Pleni sunt coeli et terra gloria tua. Hosanna in excelsis. Benedictus qui venit in nomine Domini. Hosanna in excelsis.

Heilig, heilig, heilig Gott, Herr aller Mächte und Gewalten. Erfüllt sind Himmel und Erde von deiner Herrlichkeit. Hosanna in der Höhe. Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe.
Doch grau ist alle Theorie, wie schon Goethe im Ersten Teil des "Faust" den Mephistopheles feststellen ließ. Und da sind wir beim richtigen Thema: Der Teufel steckt im Detail, hier im Respekt vor der "unvordenklichen" Tradition des deutschsprachigen Liedes in unseren Landen, der sich leider auch auf manche schwächere Lieder und das Neue Geistliche Lied erstreckt, welches uns mit teils fragwürdigen Paraphrasen erfreut. Vom Mißbrauch, irgendein Lied, indem einmal das Wort "heilig" auftaucht, anstelle des Sanctus zu singen, ganz zu schweigen.

Ein Sanctus-Ersatz ist nach Maßgabe der Bischofskonferenz nicht zwangsläufig verboten. Es handelt sich schlicht um eine Grauzone. In solchen Fällen sei immer Folgendes geraten: wir werfen einen Blick ins Missale, und nehmen den dort veröffentlichten und approbierten Text als Maßstab (siehe oben). Schon wegen der fast wörtlichen Zitation des Wortes Gottes sollte man davon absehen, allzu leichtfertig Hand an das Ordinarium zu legen, und damit auch an das Sanctus. Mit einer guten Katechese über den Hintergrund dieses wunderbaren Gesanges wird auch dem Letzten klar, dass die vierte (im Gotteslob: dritte) Strophe des "Adeste Fideles" nicht als Sanctus geeignet ist - und übrigens auch nicht das entsprechende Lied aus der Schubert-Messe. Diese Lieder haben ihren Platz in den Außerordentlichen Form des Römischen Ritus, wo die Gültigkeit der Liturgie durch das Gebet des Zelebranten in jedem Fall sichergestellt ist.

In der Ordentlichen Form aber, wo die Gemeinde an dieser Stelle zum Liturgieträger wird, sollte man das Original der Paraphrase in jedem Falle vorziehen. Leider wird der recht sorglose Umgang mit den Ordinariumstexten durch das für das Jahr 2013 projektierte Erscheinen des neuen "Gotteslob" nicht behoben. Authentizität ist aber im Gottesdienst immer das höchste Gebot! Je mehr Ehrfurcht wir vor dem Erbe der Tradition spüren, je ernster wir die Rubriken nehmen, desto weniger wird es möglich sein, dass sich liturgische Mißbräuche am falschen Ort einschleichen.

Deshalb sollten wir das Sanctus schätzen, seinen Text meditieren und es gerne und regelmäßig "mit den Engeln und Erzengeln, den Thronen und Mächten und mit all den Scharen des himmlischen Heeres" zum Hochgesang Seiner göttlichen Herrlichkeit singen.
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¹) Joseph Ratzinger: Im Angesicht der Engel - Von der Musik im Gottesdienst, Herder 2008, S. 131
²) Liturgisches Institut in der Deutschsprachigen Schweiz: Link Sanctus
³) Redemptionis Sacramentum, Kap. III Abs. 54, hier

Poetisches II

Der große Olivier Messiaen (1908-1992) wird in einem Heft von 1978 mit dieser sehr poetischen, aber für ihn typischen Betrachtung zitiert:
"Alle wissenschaftlichen Forschungen, mathematischen Beweisführungen und biologischen Versuche zusammengenommen haben uns nicht vor der Ungewißheit bewahren können. Im Gegenteil, sie haben unsere Unwissenheit noch vergrößert, indem sie uns immer neue Wirklichkeiten hinter dem zeigen, was man für die Wirklichkeit hielt.

Die einzige Wirklichkeit ist in der Tat von anderer Art; sie gehört in den Bereich des Glaubens. Wir können sie in der Begegnung mit Ihm, der anders ist als wir, erkennen. Dazu muss man jedoch durch den Tod und die Auferstehung gegangen sein, was den Sprung aus der Zeit voraussetzt. Es ist recht seltsam, dass uns die Musik darauf vorbereiten kann, als Bild, Widerschein und Symbol. Die Musik ist nämlich ein steter Dialog zwischen Raum und Zeit, zwischen Klang und Farbe — ein Dialog, der zu einer Verschmelzung führt: Die Zeit ist ein Raum, der Klang eine Farbe, der Raum ein Komplex übereinander gelagerter Zeiten, und die Klangkomplexe existieren gleichzeitig als Farbkomplexe.

Denkt, sieht, hört und spricht ein Musiker auf der Basis dieser grundlegenden Erkenntnisse, kann er sich bis zu einem gewissen Grade dem Jenseitigen nähern. Denn der heilige Thomas von Aquin sagt: Die Musik trägt uns zu Gott «aus Mangel an Wahrheit», bis zu jenem Tage, an dem Er selbst uns durch «sein Übermaß an Wahrheit» überwältigen wird. Vielleicht ist dies der entscheidende Sinn und auch die richtungweisende Kraft der Musik.“

Olivier Messiaen, Paris 1978

Der haydnische Glaube

Gerade auf dem Sprung zur Abendmesse lese ich einen Artikel der Katholischen Presseagentur Österreichs, der sich mit dem Glauben Joseph Haydns befasst und mit einigen Vorurteilen aufräumt:
"Der Komponist Joseph Haydn (1732-1809) war nach Einschätzung des deutschen Musikers und Theologen Jakob Johannes Koch religiöser als in Biographien vielfach dargestellt. Im Gegensatz zur formelhaft-leeren Religionsauffassung vieler "aufgeklärter" Zeitgenossen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert sei Haydn "betont religiös" gewesen, betont Koch in seinem neuen Buch "Heiliger Haydn? Der Begründer der Wiener Klassik und seine Religiosität". Haydn habe die Kraft zu seinem Wirken eben aus seiner Religiosität geschöpft.

In einem Nachwort für das im "Topos"-Taschenbücherverlag erschienene Werk schreibt der österreichische Dirigent Nikolaus Harnoncourt, gerade in Haydns Kirchenmusik komme dessen unkonventionelle Grundhaltung zum Ausdruck. Kaum ein Komponist setze sich derart deutend etwa mit den Texten der Messfeier auseinander. [...]

Koch bewertet Haydn als gläubigen und zugleich mündig denkenden Mann, dessen Spiritualität sich weiter entwickelt habe. die Frage nach dem Glaubensinhalt beantworten. Noch in seinen letzten Lebensjahren habe der Künstler seinen Ruhm und seine Schaffenskraft explizit seinem Schöpfer zugesprochen."

Originalartikel hier.

Benedikt XVI. — Cantare amantis est

In einer Ansprache nach einem Konzert¹ sagte unser Heiliger Vater folgende Worte, die zu meditieren es sich lohnt:

"Mir ist ein Wort des hl. Augustinus in den Sinn gekommen. Er sagt: 'cantare amantis est.' Die Quelle des Gesangs ist die Liebe. Der Gesang ist Ausdruck der Liebe. [...]

Die Ausbildung zum Gesang, dazu, in einem Chor zu singen, ist nicht nur auf die Schulung des Gehörs und der Stimme beschränkt; sie umfaßt auch eine Ausbildung des inneren Hörens, des Hörens mit dem Herzen, eine Übung und Erziehung zum Leben und zum Frieden. Gemeinsam in einem Chor oder mit mehreren Chören zusammen zu singen erfordert Aufmerksamkeit für den anderen, für den Komponisten, den Chorleiter, Aufmerksamkeit für diese Gesamtheit, die wir Musik und Kultur nennen, und so wird das Singen in einem Chor zu einer Erziehung für das Leben, es ist eine Erziehung zum Frieden, eine Erziehung dazu, gemeinsam auf dem Weg zu sein [...].

Danken wir dem Herrn, daß in unserem Europa jetzt Frieden herrscht, und tun wir alles, damit dieser Friede in uns allen und in der ganzen Welt wächst. Ich bin sicher, daß gerade diese schöne Musik einen Einsatz für den Frieden darstellt und hilft, in Frieden zu leben."

Musik ist eben nicht nur eine künstlerische Tätigkeit, sondern auch Erziehung. Jeder, der selbst musiziert, einen Chor leitet oder die singende Gemeinde an der Orgel begleitet, wird diese Erfahrung bestätigen können.

Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir auch den Kindern auf breiter Basis Zugang zu guter Kirchenmusik bieten, und ihnen nicht mit der oft zu beklagenden Erbärmlichkeit sogenannter Neuer Geistlicher Lieder das Recht auf das besondere Erlebnis von Liturgie und ihrer Musik zu rauben.

Kann man mit Kindern keine anspruchsvolle Musik erarbeiten, wie man immer wieder als Standardargument hört? Selbstverständlich kann man das, wie dieses wunderbare Video aus der Chorschule des Westminter Cathedral Choirs aus England beweist. Es ist natürlich mit erheblich mehr Aufwand verbunden. Aber ist der Gottesdienst der Ort, an dem man sich mit den einfachsten Mitteln zufrieden geben soll? Oder geben kann? Ich denke nicht. Ein altes Sprichwort sagt: "Wessen das Herz voll ist, dess geht der Mund über."

Sehr schön erfahren wir das beim Heiligen Augustinus - um abschließend auf das Ausgangszitat des Papstes zurückzukommen. Beim großen Kirchenvater lesen wir:

"Als nun die Zeit kam, wo ich mein Taufgesuch einreichen mußte, verließen wir das Landgut und kehrten nach Mailand zurück. [...]

In jenen Tagen konnte ich nicht satt werden in der wunderbaren Süßigkeit, die Höhe deines Ratschlusses über das Heil des Menschengeschlechtes zu betrachten. Wie habe ich geweint unter deinen Hymnen und Gesängen, tief bewegt von dem Wohllaut der Stimmen deiner Kirche. jene Stimmen, sie fluteten in mein Ohr, und durch sie ward die Wahrheit in mein Herz eingeflößt und fromme Gefühle wallten in ihm auf, die Tränen strömten und mir war so selig in ihnen zumute.

Noch nicht lange hatte die Mailänder Kirche diese Art der Erbauung und des Trostes eingeführt unter großer Beteiligung der Brüder, die mit Mund und Herzen einstimmten. [...]

Damals ward nach der Sitte der morgenländischen Kirche das Singen der Hymnen und Psalmen eingeführt, damit das Volk nicht durch ermüdende Trauer matt würde, und seitdem ist es bis auf den heutigen Tag so geblieben, und viele, ja fast alle deine Kirchen des Erdkreises sind uns gefolgt."²
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¹) Dokument auf der Vatikan-Homepage

²) Augustinus von Hippo: Confessiones

Die Kunst der Improvisation

Hier meisterlich vorgeführt vom finnischen Organisten Kalevi Kiviniemi an der großen Cavaillé-Coll-Orgel in der Kathedrale von Rouen. Klanglich und optisch ein Erlebnis:

Donnerstag, 24. September 2009

Poetisches I

Dom

Amt, Orgel und Gesang.

Gretchen unter vielem Volke. Böser Geist hinter Gretchen.


BÖSER GEIST:

Wie anders, Gretchen, war dir's,
Als du noch voll Unschuld
Hier zum Altar tratst
Aus dem vergriffnen Büchelchen
Gebete lalltest,
Halb Kinderspiele,
Halb Gott im Herzen!
Gretchen!
Wo steht dein Kopf?
In deinem Herzen
Welche Missetat?
Betst du für deiner Mutter Seele, die
Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief?
Auf deiner Schwelle wessen Blut?
- Und unter deinem Herzen
Regt sich's nicht quillend schon
Und ängstet dich und sich
Mit ahnungsvoller Gegenwart?

GRETCHEN:

Weh! Weh!
Wär ich der Gedanken los,
Die mir herüber und hinüber gehen
Wider mich!

CHOR:

Dies irae, dies illa
Solvet saeclum in favilla.
(Orgelton.)

BÖSER GEIST:

Grimm faßt dich!
Die Posaune tönt!
Die Gräber beben!
Und dein Herz,
Aus Aschenruh
Zu Flammenqualen
Wieder aufgeschaffen,
Bebt auf!

GRETCHEN:

Wär ich hier weg!
Mir ist, als ob die Orgel mir
Den Atem versetzte,
Gesang mein Herz
Im Tiefsten löste.

CHOR:

Judex ergo cum sedebit,
Quidquid latet adparebit,
Nil inultum remanebit.

GRETCHEN:

Mir wird so eng!
Die Mauernpfeiler
Befangen mich!
Das Gewölbe
Drängt mich!- Luft!

BÖSER GEIST:

Verbirg dich! Sünd und Schande
Bleibt nicht verborgen.
Luft? Licht?
Weh dir!

CHOR:

Quid sum miser tunc dicturus?
Quem patronum rogaturus?
Cum vix justus sit securus.

BÖSER GEIST:

Ihr Antlitz wenden
Verklärte von dir ab.
Die Hände dir zu reichen,
Schauert's den Reinen.
Weh!

CHOR:

Quid sum miser tunc dicturus?
GRETCHEN:
Nachbarin! Euer Fläschchen!
(Sie fällt in Ohnmacht.)

Johann Wolfgang von Goethe, aus: Faust - Der Tragödie erster Teil

Stillosigkeit als Gestaltungsprinzip?

Schon lange fällt mir in katholischen, kirchenmusikalischen oder speziellen Orgelforen auf, dass dort die Frage, welcher Art Kirchenmusik sein sollte, für heftige Diskussion und oft genug für Entzweiung sorgt. Mich als Kirchenmusiker in Diensten einer großen deutschen Erzdiözese überrascht das nicht, stellen diese virtuellen Dispute doch nichts weiter dar als die Verlängerung eines Streites, dem man zwar selten offen (dafür dann aber mit überraschender Heftigkeit), aber oft genug unterschwellig in den Pfarrgemeinden begegnet.

Dabei ist zu beobachten, dass die Argumente stets in folgende Richtungen laufen: die einen fordern ausschließlich klassische Kirchenmusik (der Begriff Klassik ist eine Analogiebildung zum Klassizismus in der Architektur, wo diese Bezeichung durchaus zutreffend ist. Doch gibt es Klassik in diesem Sinne eigentlich in der Musik? Was genau ist klassisch in der Musik?), die anderen fordern Offenheit für Alles, wenn nur die Qualität stimmt. Und schon da – am Rande bemerkt – hapert es ja mitunter gewaltig. Die dritte Fraktion hat es bequem: sie muss sich stilistisch gar nicht festlegen (und ist somit auch kaum angreifbar), sondern fordert allgemein Modernität und Zeitgemäßheit.

Immer wieder fällt dann in der Diskussion die Aussage, dass die Kirche ja – Gott sei Dank! – keine Aussage zur Art und Stilistik der Kirchenmusik getroffen habe, und daher ja alles möglich sei. Harald Schützeichel formuliert:
„Im Prinzip kann jede Musik innerhalb des Gottesdienstes verwendet werden, von der Gregorianik bis zum Jazz. Natürlich gibt es Musik, die für den Gottesdienst geeigneter und wenig geeignet ist. Entscheidend ist die Qualität.“¹
Prompt erntet er Widerspruch des renommierten österreichischen Liturgikers Philipp Harnoncourt, übrigens Bruder des bekannten Dirigenten Nikolaus Harnoncourt. Ein Widerspruch, in den auch kein Geringerer als Joseph Kardinal Ratzinger einstimmt, wenn er schreibt:
„In der Tat, Musik, die christlicher Liturgie dienen soll, muss dem Logos entsprechen, konkret: Sie muss in einer sinnvollen Zuordnung zu dem Wort stehen, in dem der Logos sich geäußert hat. Sie kann sich, auch als instrumentale Musik, nicht von der inneren Richtung dieses Wortes lösen, das einen unendlichen Raum freigibt, aber auch Unterscheidungslinien zieht. Sie muss ihrem Wesen nach andes sein als Musik, die in rhythmische Ekstase, in die rauschhafte Betäubung, in die sinnliche Erregung [...] hineinführen soll [...].“²
Abgesehen davon, dass ich mich einmal mehr frage, warum Theologen das Wort Christus immer so schwer über die Zunge kommt, stellt sich nun die Frage, wie man diese Aussagen, die zunächst nur eine allgemeine Richtung angeben, präzisieren kann. Auch hier helfen offizielle kirchliche Texte weiter, die im deutschsprachigen Raum gerne und regelmäßig unterschlagen werden:
„Eine Kirchenkomposition ist um so mehr kirchlich und liturgisch, je mehr sie sich in ihrer Anlage, ihrem Geist und ihrer Stimmung dem Gregorianischen Gesang nähert; umgekehrt ist sie umso weniger des Gotteshauses würdig, als sie sich von diesem Vorbilde entfernt. Der altüberlieferte Gregorianische Choral soll daher in reichem Ausmaß bei den gottesdienstlichen Funktionen wieder verwendet werden.

Alle mögen davon überzeugt sein, daß der Gottesdienst nichts an Glanz verliert, auch wenn er nur von dieser Musikart begleitet ist. Namentlich sorge man dafür, daß der Gregorianische Gesang beim Volke wieder eingeführt werde, damit die Gläubigen an der Feier des Gotteslobes und der heiligen Geheimnisse wieder lebendigeren Anteil nehmen, so wie es früher der Fall war.“
Diese Worte sind dem Motu Proprio Tra le sollecitudini des Hl. Papstes Pius X. von 1903 entnommen. Das heute so oft zitierte II. Vatikanische Konzil übernimmt große Teile dieses Dokuments fast wörtlich, und legt fest:
„Die Kirche betrachtet den Gregorianischen Choral als den der römischen Liturgie eigenen Gesang; demgemäß soll er in ihren liturgischen Handlungen, wenn im übrigen die gleichen Voraussetzungen gegeben sind, den ersten Platz einnehmen.“³
Hier ist sicherlich nicht gemeint, dass künftig ausschließlich Gregorianischer Choral gesungen werden soll. Aber zumindest ist auch hier unzweideutig bestätigt, dass für die Kirche der Choral und die kunstvolle Polyphonie ein wesentliches Beurteilungskriterium für die Qualität kirchenmusikalischer Kompositionen darstellt. Dieses bestätigt auch der schon zitierte Joseph Ratzinger erneut, diesmal 2007 bereits als Papst Benedikt XVI. in seinem Apostolischen Schreiben Sacramentum Caritatis:
„Schließlich möchte ich, obwohl ich die verschiedenen Orientierungen und die sehr lobenswerten unterschiedlichen Traditionen berücksichtige, daß entsprechend der Bitte der Synodenväter der gregorianische Choral angemessen zur Geltung gebracht wird, da dies der eigentliche Gesang der römischen Liturgie ist. [...]

Ganz allgemein bitte ich darum, daß die zukünftigen Priester von der Seminarzeit an darauf vorbereitet werden, die heilige Messe in Latein zu verstehen und zu zelebrieren sowie lateinische Texte zu nutzen und den gregorianischen Choral zu verwenden. Man sollte nicht die Möglichkeit außer Acht lassen, daß auch die Gläubigen angeleitet werden, die allgemeinsten Gebete in Latein zu kennen und gewisse Teile der Liturgie im gregorianischen Stil zu singen.“
Wir sehen, dass die Kirche der musikalischen Entfaltung weiten Raum gibt, jedoch auch klare Grenzen setzt. Oder, um es mit Joseph Marx zu sagen:
„Nicht alles, was tönt, ist Musik.“
Wir könnten ergänzen: "...und nicht alles, was Musik ist, eignet sich als kirchliche Musik im Dienste der Liturgie". Ich würde mir wünschen, dass wieder mehr Priester die Sprache der Kirche wiederentdecken, und ausufernder Selbstdarstellung eitler Schrammelgruppen nicht noch in der Liturgie eine Bühne geben. Das Totschlagargument, es gäbe keinerlei bindende Definition, ist jedenfalls nicht zu halten.

Ich werde dieses Thema in weiteren Beiträgen noch zu vertiefen versuchen.

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¹) Schützeichel: Wohin soll ich mich wenden? Zur Situation der Kirchenmusik im deutschen Sprachraum, in StdZ 209 (1991)
²) Joseph Ratzinger: Theologie der Liturgie. Gesammelte Schriften Bd. 11, S. 561; Herder 2008
³) II. Vaticanum, Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium

Mittwoch, 23. September 2009

Los geht's!

Seit Monaten haben mich nun Freunde und Kollegen gedrängt, auch unter die Blogger zu gehen. Eine Idee, mit der ich mich ehrlich gesagt nur schwer anfreunden konnte. Wen interessieren schon die privaten Ansichten oder die fachlichen Interessen eines Kirchenmusikers? Außerdem wird im Internet genug dummes Zeug geschrieben.

Nachdem ich aber die Blogs einiger Freunde gelesen habe, stelle ich fest, dass dieses Medium durchaus interessante Möglichkeiten bietet. Jüngst rief ja sogar der Heilige Stuhl die Katholiken dazu auf, das Internet stärker zu nutzen. Wohlan denn...

Zwar habe ich nicht die Absicht, mein Privatleben in der Öffentlichkeit auszubreiten, meine Hobbies zu kommentieren, verwackelte Photos als heiteres Personenraten anzubieten oder über Politiker, Brieftaubenzüchter oder Bioladenkunden zu lästern. Solche Berichte möge der geneigte Leser bitte andersorts suchen. Aber vielleicht bietet dieses Blog die Möglichkeit, bestimmte Fragen oder Probleme aus dem Bereich der Kirchenmusik, hier insbesondere aus dem Grenzbereich zwischen Kirchenmusik und Liturgik, zu erwägen und zur Diskussion zu stellen.

Es kann und soll nicht die Absicht eines Blogs sein, wissenschaftliche Arbeit zu leisten¹. Schließlich dient dieses Medium in gewisser Weise ja auch der Unterhaltung. Dennoch möchte ich meine Ausführungen möglichst dicht an einschlägigen, wenn irgend möglich online verfügbaren Dokumenten formulieren – oder meine Privatmeinung als solche hier veröffentlichen. Ich hoffe, es wird mir gelingen, beides sorgfältig voneinander zu trennen. Und vielleicht ist es sogar möglich, bei einigen Lesern neue Denkprozesse anzuregen, auf Zustimmung oder konstruktive Kritik zu stoßen und dadurch selbst neue Erfahrungen zu sammeln.

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¹) Auf welchem Niveau sich ein Blog zu expliziet liturgischen Fragen bewegen kann, sieht man am Beispiel des hervorragenden New Liturgical Movements, für das ich hier gerne Werbung mache.