Mittwoch, 21. Oktober 2009

Change Ringing

Eine echte Besonderheit, die beim Aufenthalt in England oder in anderen englischsprachigen Ländern - neben der Unfähigkeit, etwas Genießbares zu kochen - sofort auffällt, ist die unterschiedliche Art der Glockenläutens in den Kirchtürmen, das sogenannte Change Ringing. Zu deutsch: Wechsel- oder Variationsläuten. Man kann es oft im Fernsehen erleben. Prominentes Beispiel war die Übertragung der Begräbnisfeierlichkeiten für die Princess of Wales, wo man das Change Ringing gut hören konnte. (Jedenfalls habe ich mich daran erfreut. Es mag freilich sein, dass der eine oder andere durch die Beerdigung abgelenkt war und es nicht bemerkt hat...)

Diese Form des Läutens ist in Deutschland zum Beispiel nicht so bekannt, und könnte auch aufgrund der fehlenden technischen Voraussetzungen nicht praktiziert werden. Im Gegensatz zu den deutschen Glockenstühlen, an denen die aufgehängte Glocke hin- und herschwingt, sind die englischen Glockenstühle so konzipiert, dass sich die Glocke um 360° bewegen lässt:

Da die sonst mit Vorsicht zu genießende WIKIPEDIA hier eine hervorragende Erklärung liefert, darf ich diesen Absatz zitieren:
Das Joch, an dem jede Glocke aufgehängt ist, ist mit einem hölzernen Rad ausgestattet, in welchem das Glockenseil geführt wird. Geläutet wird von einer unterhalb des Glockenstuhls gelegenen „Läutestube“ aus.

Zu Beginn des Läutens wird die Glocke aufgeschwungen, d. h. durch wiederholtes Ziehen am Seil immer höher bewegt, bis sie sich um 180 Grad gedreht in einem labilen Gleichgewicht befindet. Eine am Joch angebrachte Hemmung stabilisiert die Glocke in dieser Lage.

Durch einen Zug am Seil lenkt der Glöckner die Glocke so aus dem Gleichgewicht, dass sie eine volle Drehung vollführt und wieder kopfüber stehen bleibt. Dabei schlägt der Klöppel auf den Glockenkörper und lässt die Glocke einmal erklingen. Die Aktion heißt Handzug.

Das Glockenseil wickelt sich beim Handzug zu einem guten Stück um das Rad, was die Arme des Glöckners über seinen Kopf hebt. Zieht der Glöckner jetzt nochmals am Seil, schwingt die Glocke in die entgegengesetzte Richtung und kehrt zu ihrer Ausgangsstellung zurück, wobei sie wiederum ertönt: der sogenannte Rückzug.

Zwischen der letzten Glocke im Rückzug und der folgenden ersten im Handzug wird ein Intervall doppelter Länge eingelegt. Ansonsten werden die Glocken unmittelbar nacheinander geläutet. Die Frequenz des Läutens ist dadurch relativ hoch. Eine nicht allzu schwere Glocke lässt sich etwa 30 mal in der Minute anschlagen. Entsprechend dauert das einmalige Durchläuten eines Geläuts von sechs Glocken etwa zwei Sekunden, was einem Intervall von einer Drittelsekunde zwischen den Schlägen entspricht. Bei diesem Tempo möglichst gleichmäßig zu läuten, ist ein Maß für die Qualität und wird im Englischen als good striking bezeichnet.
Wer jetzt nur "Bahnhof" verstanden hat, dem sei mit einem kleinen Video auf die Sprünge geholfen. Zunächst geht es um Handglocken, aber ab der zweiten Minute wird es interessant:




Hier noch ein Video vom Change Ringing in der National Cathedral in Washington D.C.:




Und ein letztes, wunderbares Fundstück, in dem verschiedene Geläute zu hören sind. Enjoy!

7 Kommentare:

  1. Sehr interessant. Vielen Dank!

    AntwortenLöschen
  2. Wir haben die gleichen Hobbies :-) Unglaublich!!!
    Ich liebe England für diese Schrullen!

    D.L. Sayers hat einen wunderschönen Krimi dazu geschrieben: The Nine Taylors (der Glocken Schlag) Dazu gibt es eine wunderschöne Krimiserie (DVD) mit Ian Carmichael als Lord Peter Wimsey. WUNDERBAR!
    Eine große Besonderheit ist das Totengeläut, wie bei den Exequien für H.R.H. the Princess of Wales so exzellent ausgeführt:
    Auf dem Weg zur Kirche:
    Für jedes Lebensjahr ein einzelner Schlag in der Minute!
    Der letzte Schlag erfolgte genau in dem Moment, als der Sarg am Portal von Westminster Abbey war. Was für eine Präzision!
    Bei youtube:
    Princess Diana's Funeral Part 13
    Links klappen hier nicht deshalb unter diesem Titel suchen
    Ab 6:50 nur Chor, ohne Kommentar. Wunderschön!
    Nach dem Gottesdienst:
    half muffled bells
    Dabei bekommen die Klöppel einen einseitigen Lederüberzug. Alle Figuren werden dann doppelt geläutet. Der erste Durchgang mit der unbeschuhten Seite und in der Wiederholung mit der beschuhten Seite. Ein grandioser Effekt!
    Bei youtube mit einem unglaublich berührenden Kommentar des BBC Sprechers:
    Princess Diana's Funeral Part 21

    Beeindruckend ist auch, wenn wenn ihr "Hosanna bell" eingebt!

    Herzliche Grüße

    AntwortenLöschen
  3. Sehr interessant. Sowohl der Bericht und die Videos, als auch der Kommentar von Laurentius.

    Vielen Dank!

    AntwortenLöschen
  4. Danke für den Buchtipp! Klingt sehr interessant. Als Krimifreund werde ich mir dieses Buch mal besorgen.

    AntwortenLöschen
  5. Erwischt! Tja, falls Du auch ein Herz für Glockengeläut hast, bin ich auf Deiner Seite!

    AntwortenLöschen
  6. Ja, interessieren tut's mich schon. Ein echter Fachmann bin ich allerdings nicht. Glockenkunde gehörte zwar auch zum Studium, da war ich allerdings eher mit anderen Dingen beschäftigt...

    AntwortenLöschen
  7. Interessanter Bericht! Vielen Dank!

    AntwortenLöschen